Franz Steinitz entdeckte seinerzeit Biotin und dessen Bedeutung für Haut und Haare, weswegen er es kurzerhand „Vitamin H“ nannte. Wenn der Mineralstoff nur einem gesunden Erscheinungsbild dient, ist ein Mangel nicht sehr tragisch – oder doch? Das hinter dem Nährstoff weitaus mehr steckt als eine glänzende Fassade und wo er eigentlich zu finden ist, wollen wir uns nun genauer ansehen:

Bioverfügbarkeit und Vorkommen von Biotin

Biotin ist in vielen Lebensmitteln enthalten, meist aber nur in geringer Konzentration. Bei einer ausgewogenen Ernährung ist eine ausreichende Versorgung durch Lebensmittel gut möglich. Während in Nahrungsmitteln pflanzlicher Herkunft Biotin in freier Form vorliegt, ist es in tierischen Lebensmitteln an Proteine gebunden, meist an die Aminosäure Lysin.

Das durch die Nahrung aufgenommene, gebundene Vitamin H wird mit Hilfe des Enzyms Biotinidase, welches in der Bauchspeicheldrüse und im Darm gebildet wird, freigesetzt. Anschließend kann es primär im Dünndarm aufgenommen werden. Nicht verwertetes Biotin wird über Urin und Kot ausgeschieden. Der Darm enthält Bakterien, die zum Teil auch selbst Vitamin H herstellen können. Man geht davon aus, dass die Syntheserate nicht sehr hoch sein kann, da der Biotinspiegel bei Babies mit angeborenem Biotinidase-Mangel (d.h. sie können kein gebundenes Biotin aufnehmen) ohne entsprechende Supplementierung rasch abfällt, obwohl der Darm es weiterhin produziert.

Was ist ein Biotinidasemangel?

Bei einem Neugeborenenscreening gehört der Test zu dieser angeborene Stoffwechselerkrankung mittlerweile zum Standard.  Sie tritt mit einer Häufigkeit von ca. 1:80.000 (in Deutschland 1:25.000) auf und unentdeckt führt er zu Beeinträchtigungen des Hör- und Sehvermögens, Entwicklungsstörungen, Krämpfen, niedrigem Blutdruck und Übersäuerung sowie Hautveränderungen und Haarausfall.  Auch ein tödlicher Verlauf ist möglich. Durch lebenslange, pharmazeutische Supplementation von freiem Biotin kann dieser Mangel effektiv behandelt werden.

Der Holocarboxylase-Synthetase-Mangel ist eine weitere Biotin-Stoffwechselerkrankung, die bei Neugeborenen auftreten kann. Bei ihr fehlt das gleichnamige Enzym, welches aber für die Biotinidase benötigt wird. Er tritt mit 1:200.000 deutlich seltener auf und gehört nicht zu den obligatorischen Untersuchungen. Meist wird er nach Auftreten von Übersäuerungen (Ketoazidose, Laktatazidose) oder einem zu hohen Ammoniumgehalt im Blut festgestellt.  Auch hier muss Vitamin H möglichst schnell supplementiert werden, damit keine folgenschweren Schädigungen auftreten.

Was ist nun mit Haut und Haar?

Biotin ist ein Coenzym, welches bei vielen Stoffwechselprozessen beteiligt ist. Neben dem Energie-, Cholesterin- und Fettsäurestoffwechsels spielt es auch bei der Gluconeogenese und der Regulation der Gene und Zellen sowie der Reparatur von DNA-Schäden eine bedeutende Rolle.

Zur Folge hat dies unter anderem auch, dass sich Nagelbett und Haarwurzeln stetig neu bilden können. Ohne ausreichende Versorgung fallen die Haare folglich aus. Ob eine über die Richtwerte empfohlene Zufuhr die Haare und Nägel nun „noch schöner“ macht ist nicht studienbasiert bewiesen. Nach tierärztlichen Untersuchungen, die zeigten, dass die Hufhärte bei Pferden nach Biotingabe zunahm, wurde dies auch bei Menschen getestet. Bei einer Gabe von 2,5 mg pro Tag nahm die Nageldicke zwar zu und die Struktur sowie Oberfläche verbesserte sich deutlich, aber wissenschaftliche Beweise fehlen dennoch. Bei Chemotherapie-bedingtem Haarausfall hat die tägliche Gabe von 5 mg Biotin gute Resultate erzielen können.

Überblick für die Kitteltasche – Biotin:

Bausteine/WirkstoffeBiotin ist ein wasserlösliches Vitamin und liegt in Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln meist in Reinform vor.
Andere Namen sind neben Biotin(um) auch Vitamin B7, Vitamin H oder Coenzym R.In pflanzlichen Lebensmitteln liegt Biotin in freier Form vor, in tierischen ist es hingegen fast immer an Proteine (meist Lysin) gebunden.Welche Bioverfügbarkeit bei gesunden Menschen besser ist, ist noch ungeklärt.
Bei Patienten mit geschädigtem Darm und/oder Bauspeicheldrüse ist „pflanzliches Biotin“ vorzuziehen.
Funktion(en) im Körper·Erhalt eines normalen Energiestoffwechsels

·Erhalt von gesunden Blutzellen

·Erhalt normaler psychischer und neurologischer     Funktionen

·Erhalt eines normalen Nährstoff- und   Fettstoffwechsels sowie Aminosäuresynthese

·Erhalt normaler Haare, (Schleim-)Haut und Nägel

Bezugsquellen·Weizenkleie

·Schweineleber

·Eier (nicht roh!)

·Haferflocken

·Spinat

·Erbsen

·Vollmilch

RichtwerteSäuglinge:

0 bis unter 4 Monate: 4 µg/Tag

4 bis unter 12 Monate: 6 µg/Tag

Kinder und Jugendliche:

1 bis unter 4 Jahre: 20 µg/Tag

4 bis unter 10 Jahre: 25 µg/Tag

10 bis unter 15 Jahre: 35 µg/Tag

15 bis unter 19 Jahre sowie Erwachsene und Senioren: 40 µg/Tag

Schwangere: 40 µg/Tag und Stillende 45 µg/Tag

 

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. Biotin

Symptome einer Unterversorgung·Wachstumsstörungen bzw. -verzögerungen

·Appetitlosigkeit und Untergewicht

·(entzündliche) Hautveränderungen und Haarausfall

·Blutarmut

·wiederkehrende Bindehautentzündungen

·neurologische Störungen, die den Bewegungsapparat   betreffen oder Depressionen

·Lethargie und Schwächegefühl, Ohnmachtsanfälle

·erhöhte Gesamtcholesterinwerte

·schwaches Immunsystem

·Muskelschmerzen

Risikogruppen für eine Unterversorgung·Schwangere/Stillende

·Dialysepatienten

·Patienten mit (stark) geschädigtem Darm

·genetisch bedingter Biotin-Mangel (z.B.   Biotinidasemangel)

·Patienten, die bestimmte Medikamente einnehmen   wie  beispielsweise Arzneimittel gegen Krampfanfälle   (Anticonvulsiva) oder gegen Epilepsie; längere   Antibiotikaeinnahme

·Mangelernährung, Diäten oder einseitige   Ernährungsgewohnheiten

·Patienten, die künstlich ernährt werden ohne entsprechende Supplementation

·übermäßiger Nikotin- und/oder Alkoholkonsum

Symptome einer ÜberversorgungBisher sind keine negativen Effekte beim Menschen infolge einer hochdosierten Biotinzufuhr aufgetreten.
Ein genauer Wert für die lethale Dosis konnte nicht festgelegt werden.
Der NOAEL (= No Observed Adverse Effect Level = Dosis ohne beobachtete schädliche Wirkung) wurde bei Erwachsenen auf 2500 µg festgelegt.
Freund/FeindFreund:

·Biotin wird zusammen mit seinen B-Vitamin-  Freunden, dem Vitaminen B2, B6, B12, Folsäure und  Pantothensäure, schneller und effektiver aufgenommen

 

Feind:

·Avidin, welches in rohem Ei enthalten ist, blockiert die Biotinaufnahme aus dem Darm

·Medikamente:

  • Antiepileptika
  • Anticonvulsiva
  • Antibiotika (über längeren Zeitraum eingenommen)

 

PTA-Wissen kompakt:

  • Bei Einnahme von Biotin, beziehungsweise biotinhaltigen Produkten, muss dies unbedingt dem Arzt gesagt werden, wenn Labortests durchgeführt werden. Bei einigen Untersuchungen kommt es sonst zu falschen Ergebnissen – wie etwa Nachweisprüfungen von Schilddrüsen- und Sexualhormonen oder Herzinfarkt-Markern. Falsche Diagnosen mit unnötigen Behandlungen sind die Folge.
  • In rohen Eiern ist Biotin an das Protein Avidin gebunden und kann davon im menschlichen Körper nicht selbstständig gespalten werden. Durch Erhitzen (über 100°C) wird Avidin jedoch denaturiert und Vitamin H kann im Darm aufgenommen werden.
  • Je mehr, desto besser: Je höher die aufgenommene Menge Biotin ist, desto höher ist auch die Resorptionsrate. Während bei geringer Zufuhr die Natriumkanäle den Transport übernehmen müssen, gelangt bei hoher Einnahme das Vitamin H durch Diffusion durch die Darmwand.
  • Studien zeigen, dass Babies, die vom plötzlichen Kindstod betroffen waren, häufiger einen Biotinmangel aufwiesen als gleichaltrige Kinder mit bekannter Todesursache. Ein guter Biotinhaushalt kann bei der Verhinderung des sogenannten “ SIDS“ helfen.
    Möglicher Grund ist unter Umständen der niedrige Vitamin H-Gehalt in Fertigmilch. Gestillte Babies erhalten im Durchschnitt täglich 3 µg Biotin pro 500 ml Muttermilch.
  • Säuglinge mit schlimmen Hauterkrankungen wie seborrhoische Dermatitis haben meist auch einen zu geringen Vitamin H-Spiegel. Zur Verbesserung der Hautsituation wird die Konzentration im Urin getestet und gegebenenfalls die Biotinzufuhr kontrolliert.
  • Auch Hunde können auch von einer Biotingabe profitieren: Bei Fellwechsel kann dieser deutlich beschleunigt werden. Auch Haarausfall, Juckreiz oder Schuppenbildung kann entgegengewirkt werden.
    Folgende Dosierungen werden – falls vom Tierarzt nicht anders verordnet – empfohlen:
  • bis 5 kg Körpergewicht: 2,5 mg
  • um 10 kg Körpergewicht: 5 mg
  • ab 20 kg Körpergewicht: 10 mg
    Überschüssiges Vitamin H wird bei gesunden Tieren über den Urin ausgeschieden.

Quellenangabe

Verbraucherzentrale. Wechselwirkungen, Nebenwirkungen, Gegenanzeigen von Nahrungsergänzungen. Stand: 08.2020. Online verfügbar unter: https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/nahrungsergaenzungsmittel/wechselwirkungen-nebenwirkungen-gegenanzeigen-von-nahrungsergaenzungen-50991.  Abgerufen am 26.6.2021.