Unruhezustände, Schlaflosigkeit und Angstgefühle plagen viele unserer Patienten in der Apotheke. Nicht selten äußern diese den Wunsch, endlich mal wieder richtig schlafen zu können. Und nicht selten greifen diese Patienten zu verschreibungsfreien antiallergischen Wirkstoffen wie Doxylaminhydrogensuccinat oder Diphenhydraminhydrochlorid. Dabei gibt es viel bessere Alternativen. Befragt man die Patienten richtig, bekommt man sofort einen Überblick über die eigentlichen Probleme. Sehr oft sind die Schlafräuber Stress, das berühmte „Gedankenkarussel“, der gute Mittagsschlaf oder aber auch organische sowie psychische Krankheiten.

Doxylamin und Diphenhydramin gehören zu den s.g. H1-Antihistaminika der 1. Generation. Sie heben also den Effekt des körpereigenen Histamins auf, dadurch kommt es zu reduzierten allergischen Reaktionen. Beide Wirkstoffe sind auf Grund ihrer chemischen Struktur sehr lipophil, d.h. sie überwinden die Blut-Hirn-Schranke ohne Probleme. Als Folge entsteht eine Sedierung nach etwa 2 Stunden. Therapeutisch wird diese Eigenschaft bei Durchschlafstörungen ausgenutzt, Einschlafstörungen sind damit kaum zu beheben.

Empfehlungen für die Anwendung bei Schlaflosigkeit sind prinzipiell abzulehnen. Die Werbung suggeriert einen angenehmen, erholsamen Schlaf. Die Wirkstoffe werden als harmlose Heilsbringer angepriesen. Die Pharmakokinetik und das Nebenwirkungsprofil zeigen, wieso die Empfehlung sehr kritisch betrachtet werden sollte, insbesondere wenn man bedenkt, dass v.a. multimorbide Patienten im hohen Alter nach diesen Mittel verlangen und sehr oft unter Polymedikation stehen. Die beiden sedierenden H1-Antihistaminika besitzen eine Plasma-Halbwertszeit von 9-10 Stunden. D.h., erst nach dieser Zeit ist die Hälfte der Wirkstoffe im Körper abgebaut. Die Folge ist eine Sedierung am Folgetag und somit eine verminderte Körperleistung. Auch gegen Übelkeit (Seekrankheit) helfen diese Stoffe, in dem sie die Muskarinrezeptoren antagonisieren. Als Folge der Antagonisierung kann es aber zu Herzrasen, Störung der Nah- und Ferneinstellung des Auges, Mundtrockenheit, Verstopfung, Erhöhung des Augeninnendrucks und zu Problemen mit der Blasenentleerung kommen.

Passionsblume: eine bessere Alternative?

Es gibt mehrere in Vivo-Studien die darauf hinweisen, dass Passionsblumenkraut eine angstlösende und beruhigende/entspannende Wirkung besitzt. Leider ist die Probandenanzahl sehr überschaubar und das Design der Studien defizitär (verschiedene Passionsblumenextrakte), sodass die Evidenz „gerade so“ als gesichert durch geht. Zwar sind die einzelnen Inhaltsstoffe der Pflanze weitestgehend gut belegt, der eigentliche Wirkstoff ist jedoch immer noch nicht identifiziert. Die European Medicines Agency (EMA) vergab 2014 dennoch die Indikation basierend auf der langjährigen Anwendungen (> 30a) „Zur Besserung des Befindens bei nervlicher Belastung und zur Schlafunterstützung“.

An Mäusen wurde Passionsblume gegen Diazepam (Benzodiazepin bei Angst, epileptischen Anfällen und Schlaflosigkeit) bzw. Placebo verglichen. Diese mussten unter Einfluss der Pharmaka eine Art „angsteinflößende“, bewegliche Plattform erklimmen. Auffällig war, dass unter Diazepam und unter Passionsblume die Häufigkeit und Dauer des Betretens deutlich höher war als unter Placebo. Interessanterweise ist aber der zurückgelegte Weg unter Diazepam niedriger als unter Passionsblume bzw. Placebo. Man kann also daraus schließen, dass die Passionsblume keine sedierenden Effekte ausweist aber gut angstlösend wirkt, wenn auch etwas schwächer als Diazepam.

Auch an Menschen wurde experimentiert. 60 Probanden bekamen 90 Minuten vor Beginn einer Operation 500 mg Passionsblumen-Extrakt oder ein Placebo. Untersucht wurden die Probanden nach der Applikation in gewissen Zeitabständen, um das Angstgefühl und die Sedierung zu erfassen. Nach 10 Minuten trat die Wirkung ein, nach 30 Minuten war sie auf dem Höhepunkt und deutlich wirksamer als Placebo. Auch hier trat keine Sedierung ein.

Eine weitere interessante Untersuchung an 36 Probanden im Rahmen einer Angsttherapie kam zu dem Ergebnis, dass Oxazepam (pharmakologisch aktiver Metabolit des Diazepams) nach vier Wochen nicht stärker wirkte als ein spezielles Flüssigextrakt aus Passionsblume.

60 Probanden wurden 3 Tage vor einem Bewerbungsgespräch unter den Einfluss der Passionsblume oder Placebo gesetzt. Es zeigte sich, dass die Placebo-Gruppe deutlich nervöser war und unter Schlafproblemen litt als die unter Passionsblume stehenden Probanden. Diese waren deutlich ausgeruhter, ruhiger und entspannter. Auch hier trat kein sedierender Effekt ein.

Abschließend ist zu sagen, dass sich Passionsblume, sofern unsere Patienten in das Indikationsbild dieser erstaunlichen Pflanze passen, hervorragend eignet, um Nachts bzw. am Tag keine ausgeprägten Angstzustände und innere Unruhe zu entwickeln bzw. das ratternde Gedankenkreisen zu beenden und die Schlaf- und Lebensqualität damit deutlich zu verbessern.
Trotzdem sollte nur zu medikamentösen Maßnahmen gegriffen werden, wenn die Ursachen des Problems nicht durch andere Maßnahmen wie z.B. autogenes Training oder verbesserte „Schlafhygiene“ behoben werden kann.


Kommentar des Autors
Wenn unsere Patienten an „echten“ Problemen leiden, sollte diesen auch echte Hilfe zuteilwerden. Und da kommen wir ins Spiel. Uns steht es nicht zu, ihnen unwirksame „Medikamente“ zu verkaufen und zu hoffen, dass der Placebo-Effekt in Kraft tritt. Diese Menschen gehen in die Apotheke um wirksame Medizin zu erwerben. Sie wissen oftmals gar nicht, dass es in Apotheken auch nachgewiesenermaßen unwirksame „Medizin“ in verschiedenen Formen gibt, die nur über den Placebo-Effekt bzw. Placebo-by-Proxy-Effect wirken können und keine Zulassung im Sinne der evidenzbasierten Pharmazeutika besitzen. Und wenn jemand wirklich „richtige“ Angst- oder Schlafprobleme hat, dann gehört er zum Arzt und nicht durch „sanfte, natürliche oder ganzheitliche“ Notfalltropfen oder Zuckerperlen abgespeist. Denn das verzögert die Inanspruchnahme einer wirksamen Therapie enorm.

Was ihr als PTA wissen solltet

  • Genaue Probleme, Dauer und Verlauf erfragen
  • Krankhafte von nicht krankhaften Problem differenzieren, ggf. zum Arzt schicken
  • Grenzen der Selbstmedikation abklären
  • Chemische Sedativa/Hypnotika werden massiv missbraucht
  • Bei multimorbiden und unter Polymedikation stehenden Patienten genauestens abwägen, im Zweifel pharmazeutische Bedenken ankündigen und Abgabe von chemischen H1-Antihistaminika verweigern
  • Pflanzliche Mittel sind schwächer wirksam als chemische, der Placebo-Effekt, v.a. bei anderen Pflanzen ist enorm (Baldrian)
  • Passionsblume sediert nicht, wirkt aber stark anxiolytisch sowie beruhigend
  • Placebos sind unethisch und keine Alternative

Quellen