Ein Studium in der DDR ohne Bekenntnis zum Staat? Scheinbar unmöglich. Unsere Autorin Josi, Jahrgang 1959, erzählt von Ihrem ungewöhnlichen Weg bis zum Abschluss als Pharmazie-Ingenieurin.

Studium auf Umwegen

Mauer
Geboren im zehnten Jahr des Bestehens der ehemaligen DDR wuchs ich wohl behütet in einem christlichen Elternhaus auf. Mutter sang im Kirchenchor. Vater war Geistlicher. Ideal für die Kinderseele – Stolpersteine für Ausbildung und Karriere.
Die Steine mutierten zur Mauer, als ich mich von der braven Jungpionierin zur FDJ-Verweigerin mauserte und als Krönung nicht im Reigen der Jugendweihler stand, sondern nur mein Konfirmationsgelübde ablegte. Kein Bekenntnis zum sozialistischen Staat und zum Großen Bruder (Sowjetunion) bedeutete: keinen Zugang zur EOS (heutiges Gymnasium) und somit keinen Studienplatz erhalten zu können. Na, wenigstens wurde ich fortan auch mit „Sie“ im Unterricht angesprochen wie alle, die mit vierzehn Jahren die Jugendweihe feierten. Wenngleich einzelne Zeugnisnoten um ein Grad abgestuft wurden.

Hürden
Den Abschluss der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule (POS) schaffte ich trotzdem mit Bravour.
Eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester wurde mir strikt verweigert – Kinder waren im sozialistischen Geist zu erziehen! Punkt!
Meine Leidenschaft fürs Sortieren von Medikamenten der Verwandtschaft und mein Lieblingsfach Chemie führten mich regelrecht zu einem Praktikum in eine Apotheke. Mit Freude bewarb ich mich danach um einen Ausbildungsplatz zum Apothekenfacharbeiter. Hoffnungsgeschwängert. Denn Apotheken galten damals als eher liberal eingestellte Firmen gegenüber christlich denkenden Mitarbeitern. Doch hinter vorgehaltener Hand riet mir der Kreisapotheker, selbst Geistlicher, aus eigener Furcht vor Repressalien, der FDJ beizutreten.

Der Weg ebnet sich
Für mich freiheitlich denkender, aber sozialistischer Lehrling begann der erste Tag mit einem Blumenstrauß und dem Satz: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“.
Wahre Worte!
Gerne fuhr ich daher mit in die Ausgabestelle der Apotheke, auch wenn ich dort nur putzen sollte. Ich nutzte nebenher die Zeit, um die kleine Apotheke mit den mitgebrachten Medikamenten zu bestücken und im Handverkauf „handzulangern“. Die Leiterin, eine Pharmazieingenieurin, ließ mich gewähren.
Ich hatte „Apothekenblut“ geleckt. Als Arbeiterkind, für Statistiker der DDR interessanter als Kinder von Akademikern, bewarb ich mich noch in meiner Lehrzeit zum Studium zum Pharmazieingenieur. Die Verkürzung der Lehrzeit und der Wegfall der einjährigen Wartezeit gebaren diesen nahtlosen Übergang zum Studieren.

Begehbarer Weg zum Ziel
Ich entschied mich für das politisch weniger knechtende Fernstudium an einer Außenstelle der Ingenieurschule für Pharmazie Leipzig. Hinfahren. Sinne öffnen. Mitschreiben. Heimfahren. Keine politischen Aktivitäten nach der Vorlesung möglich. Ideal.
Natürlich gab es auch das Fach Grundlagen des Marxismus-Leninismus. Es stand, als Symbol seiner Wichtigkeit in der sozialistischen Bildung, an erster Stelle im Zeugnis; Pharmakologie rangierte wohlgemerkt an viertletzter. Als ich in einer Klausur zu Fragen der Theorie des Marxismus-Leninismus als Einzige eine Eins geschrieben hatte, lobte der Dozent meine politische Einstellung. Meine Studienkollegin, die mich kannte, konnte ihr grunzendes Kichern fast nicht verbergen.
Auch wenn das Fernstudium drei Semester länger dauerte als das dreijährige Direktstudium, ließen sich mein erstes Kind, dazu noch schwerstbehindert, und Familienleben gut integrieren. Stipendium und der Erlass der Studiengebühren erleichterten den finanziellen Alltag.
Eine Freundin, stolze Besitzerin einer Schreibmaschine, tippte geduldig das handgeschriebene Gekritzel meiner Ingenieurarbeit ab. Die letzte Hürde war genommen.
Mit der Hochschulreife in der Tasche zählte ich nun zu den mittleren pharmazeutischen Fachkräften der DDR und durfte endlich eigenverantwortlich arbeiten.