Paracetamol verursacht ADHS, Leberversagen, Asthma, und ist sowieso supergefährlich. Oder?

Von verträumter Gitarrenmusik untermalt sitzt eine junge Frau in einer Wohnzimmerkulisse und sieht ernst in die Kamera. „Paracetamol“ erklärt sie mit Dringlichkeit in der Stimme „würde heutzutage gar nicht mehr zugelassen werden – auch nicht auf Rezept!“ Die mit Überzeugung vorgetragenen Worte sind Teil eines Videos über die Gefahren von Schmerzmitteln, das auf der Webseite eines bekannten deutschen Nachrichtenmagazins zu finden ist. In den folgenden Sekunden bekommt der geschockte Zuseher noch die Information, bereits vier Gramm Paracetamol könnten schwere Leberschäden verursachen, die doppelte Dosis sei tödlich. Zurück bleibt ein vages Gefühl der Bedrohung: Paracetamol – das allgegenwärtige Schmerzmittel, die Nummer 1 Empfehlung für Schwangere – schon bei geringer Überdosierung tödlich?

Was hier mit fast kindlichem Ernst in die Kamera erzählt wird, reiht sich ein in eine Vielzahl von Meldungen, die alle kein gutes Licht auf den Wirkstoff werfen, der als Schmerzstiller und Fiebersenker bei verschiedenen Indikationen als Erst-Therapie empfohlen wird. Paracetamol verursache ADHS, sei als Schmerzmittel wirkungslos und insgesamt viel zu gefährlich. Nach der Lektüre muss man sich fragen: Wieso ist das Teufelszeug eigentlich noch auf dem Markt? Wir haben die gängigsten Vorurteile auf den Prüfstand gestellt.

Paracetamol und ADHS

Die Assoziation eines Klassikers wie Paracetamol mit einer so heiß diskutierten Erkrankung wie ADHS verlangt nach Aufmerksamkeit. Auch wir hatten hier schon mal eine Nachricht über den möglichen Zusammenhang. Der Tenor aller Meldungen damals war: Paracetamol verursacht ADHS. Dabei behaupten das nicht einmal die Autoren der zugrundeliegenden Studien.
So schreiben die Autoren der dänischen Studie in ihrer Schlussfolgerung „weitere Nachforschung ist nötig“1 – was zum Teil wohl auch den Schwächen der Erhebung geschuldet sein dürfte2. So wurde beispielsweise nicht berücksichtigt, ob ADHS in der Familie bereits vorkam. In einer der Studien wurden 939 mit Paracetamol behandelte Geschwisterpaare mit 155 Ibuprofen-behandelten Geschwisterpaaren verglichen – kein besonders ausgeglichenes Verhältnis3, 4. Auf einer solchen Datenbasis lassen sich schwer belastbare Aussagen herausfinden. Was damals ebenfalls unterging: Die möglichen Zusammenhänge erschienen immer im Zusammenhang mit Langzeitverwendung von Analgetika während der Schwangerschaft. Bei kürzerer oder seltener Anwendung konnte kein besonders erhöhtes Risiko aus den Zahlen gelesen werden. Folgerichtig empfiehlt die Datenbank Embryotox der Berliner Charité nach wie vor Paracetamol als Mittel der Wahl für Schwangere.5

Paracetamol und Asthma

Es gibt die Sorge, Paracetamol steigere das Risiko von Asthma bei Kindern, wenn die Mütter es während der Schwangerschaft nehmen oder die Kinder es in den ersten zwei Lebensjahren bekommen. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Studien, die darauf hinzudeuten schienen. In Meta-Analysen wurden jedoch gravierende Fehler im Studienaufbau deutlich6. So wurde beispielsweise in der Regel nicht nach dem Grund für die Einnahme bzw. –Gabe gefragt. Der Pharmakologe Prof. Karl-Uwe Petersen von der RWTH Aachen, Co-Autor einer der Meta-Analysen, erläutert in einer Veröffentlichung zum Thema: „(V)irale Atemwegsinfektionen (können) die spätere Entwicklung von Asthma begünstigen (…) Erhält nun ein Kind bei einer fieberhaften Bronchitis Paracetamol zum Fiebersenken, kann bei einem später diagnostizierten Asthma der Zusammenhang mit der Atemwegsinfektion verkannt werden und die Erkrankung stattdessen dem Antipyretikum [Paracetamol] zugeschrieben werden.“4 In einem Spiegel-Online-Artikel wird aus dem Ergebnis einer zweiten Meta-Analyse zitiert: „Der Zusammenhang zwischen einer frühen Paracetamolaufnahme und Asthma wird häufig überwertet.“7

Paracetamol und Leberversagen

Die Lebertoxizität verschiedener Schmerzmittel ist bekannt. Bei Überdosierung kann auch Paracetamol zu Leberschäden führen – bei korrekter Anwendung aber eigentlich nicht.

Der biologische Hintergrund ist folgender: 2-10% einer Dosis Paracetamol werden in der Leber zu einem Gift umgewandelt (Benzochinon-Imin). Dieses wird im Normalfall aber umgehend an ein reichlich vorhandenes Antioxidans (Glutathion) gekoppelt und ausgeschieden. Wenn mehr als das Doppelte der empfohlenen Tagesdosis eingenommen wird, also bei deutlicher Überdosierung, erschöpft sich dieser Vorrat an Glutathion und der toxische Stoff beginnt, der Leber zu schaden. Dies kann dann auch tödlich enden. In Verbindung mit Alkohol oder bei vorgeschädigter Leber steigt das Risiko deutlich.

So lange man Paracetamol innerhalb der empfohlenen Dosen anwendet, ist die Gefahr eines Leberschadens praktisch nicht gegeben. Als empfohlene Dosis nennt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) 10-15 mg pro Kilogramm Körpergewicht für die Einzelgabe und maximal 60mg pro Kilogramm Körpergewicht für die Tagesdosis.8 Bei einer 70 Kg schweren Person also 4,2g Paracetamol am Tag. Das entspricht der Faustregel für Erwachsene: Nicht mehr als ein Gramm auf einmal und nicht mehr als 4 Gramm am Tag.

Paracetamol und Nierenschäden

„Hält man sich an die Dosierangaben der Hersteller und vermeidet die häufige Einnahme, kann man unbesorgt sein. Eine Schädigung der Niere, wie sie für die Vorläufersubstanz von Paracetamol – das nicht mehr erhältliche Phenacetin – bewiesen wurde, muss gemäß der Daten aus epidemiologischen Untersuchungen hier nicht befürchtet werden“, sagt Privatdozentin Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologische Klinik der LMU München9. Dem haben wir nichts hinzuzufügen.

Die Wirkungslosigkeit von Paracetamol

Mitte 2014 wurde eine Studie veröffentlicht, in der festgestellt wurde, dass Paracetamol bei Rückenschmerzen bzw. Hexenschuss nicht wirksamer sei als ein Placebo. In der üblichen medialen Verkürzung wurde daraus: Paracetamol ist unwirksam. Das ist in der Form natürlich nicht haltbar.

Der Wirkmechanismus von Paracetamol ist, anders als bei den klassischen NSAR, nicht auf die Hemmung der Cyclooxigenase-2 (COX2) fokussiert. Deswegen hat Paracetamol keine klinisch relevanten antientzündlichen Effekten. Die schmerzhemmende und fiebersenkende Wirkung beruht hingegen auf zentralen Effekten und ist auch bei akutem Kreuzschmerz mit der von klassischen NSAR vergleichbar. Bei chronischen Gelenkschmerzen spielt die Entzündung aber eine wesentliche Rolle. Das Paracetamol hier trotzdem häufig zum Einsatz kommt, liegt daran, dass es im Vergleich zu den anderen gängigen Schmerzmitteln ein günstigeres Sicherheitsprofil hat. Darum wird zunächst die Möglichkeit der Behandlung mit Paracetamol überprüft bevor eine Therapie mit tendenziell risikoreicheren Mitteln in Betracht gezogen wird. In den Leitlinien zum Kreuzschmerz heißt es dementsprechend: „Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Paracetamol beim akuten Kreuzschmerz ebenso wirksam ist wie traditionelle nicht-steroidale Antirheumatika (tNSAR). Bei chronischen Beschwerden deuten die Studienergebnisse darauf hin, dass Paracetamol etwas weniger wirksam ist als tNSAR“10
Wenn es um die gewöhnliche Erkältung geht, ist Paracetamol genau so wirksam wie andere Analgetika.11

Fazit

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass nicht ganz nachvollziehbar ist, warum gerade Paracetamol so eine schlechte Presse hat. Natürlich ist es mit Vorsicht einzunehmen, aber das gilt schließlich für alle Schmerzmittel. Bei näherer Betrachtung erweisen sich viele Ängste als übertrieben oder sogar komplett unbegründet. Paracetamol hat seinen Platz in der Apotheke verdient.

Das sollten Sie als PTA wissen


Argumente für Paracetamol

  • Es wirkt fiebersenkend
  • Es lindert (leichte bis mittlere) Schmerzen
  • Es löst im Gegensatz zu anderen Analgetika keine Blutungen im Magen-Darm-Trakt aus
  • Es ist aufgrund des guten Sicherheitsprofils laut Embryotox immer noch das Mittel der Wahl bei Schmerzen in der Schwangerschaft.

Vorsicht vor Paracetamol

  • Es wirkt bei deutlicher Überdosierung Leberschädigend bis hin zum Leberversagen
  • Es kann sich bei dauerhafter Einnahme ungünstig auf Menschen mit Herzproblemen auswirken
  • In Kombination mit Alkohol oder anderen Schmerzmitteln können die Schäden früher eintreten

Wissenscheck Paracetamol

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Quellen