Die akute Mittelohrentzündung, Otitis media acuta, tritt im Kindesalter relativ häufig auf. Die pulsierenden Ohrenschmerzen werden meist von einem erheblichen Krankheitsgefühl und Fieber begleitet. Zudem sind Kopfschmerzen und Beeinträchtigungen des Hörens möglich. Die Eltern der kleinen Patienten sind oft sehr besorgt, doch in der Regel heilt die Mittelohrentzündung folgenlos aus. Es handelt sich um eine häufige, aber meist komplikationslose Erkrankung im Kindesalter. Der generelle Einsatz von Antibiotika wird zunehmend kritisch hinterfragt.

Symptome der akuten Otitis media (AOM)

Zu den charakteristischen Symptomen zählen starke Ohrenschmerzen, die meist in den späten Abendstunden und in der Nacht zunehmen. Die Schmerzen sind quälend mit pulsierendem und stechendem Charakter. Über den Tag hinweg können sie sich zunächst bessern, um später wieder ausgeprägt aufzutreten. Begleitet werden die Schmerzen häufig von Fieber, einem starken Krankheitsgefühl, Ohrgeräuschen, Hörminderung, Ausfluss aus dem Ohr sowie Kopfschmerzen. Meist sind die klassischen Erkältungsanzeichen wie Schnupfen und Husten ebenfalls (noch) vorhanden. Auch findet man bei vielen Kindern eine erhöhte Reizbarkeit. Je nach Alter des Kindes können die Beschwerden eher unspezifisch erscheinen. So fassen sich Babys und Kleinkinder oft ans Ohr, sind unruhig und weinerlich oder haben Bauchschmerzen. Kommt es spontan zur Perforation mit Entleerung von Eiter in den Gehörgang, lassen die Schmerzen abrupt nach. Der Riss verheilt in der Regel innerhalb von ein paar Tagen.

Entstehung

Eine Mittelohrentzündung entwickelt sich häufig auf dem Boden eines viralen Infektes im Mund-Nasen-Rachenraum. Die Krankheitserreger können aufgrund der kürzeren Tube leichter aufsteigen. Bei Kindern ist die Ohrtrompete zudem weiter, Bakterien können sich leichter ansammeln und zur Superinfektion führen. Bei einer Entzündung schwillt die Schleimhaut in der Ohrtrompete an und die Belüftung ist eingeschränkt. Auf die vorige virale Entzündung kommen bakterielle Erreger hinzu, in ca. 70 % handelt es sich um Mischinfektionen. Zu den häufigsten Erregern zählen Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis.

Bei der ärztlichen Untersuchung erscheint der Innenbereich stark gerötet und das Trommelfell ist vorgewölbt. Eine Vorwölbung gilt als Hinweis für eine Flüssigkeitsansammlung und somit eine Druckerhöhung im Mittelohr. Eitriger Ausfluss ist möglich.

Drei Kriterien für die sichere Diagnose einer Mittelohrentzündung:

  • Plötzlicher Beginn, Fieber, reduzierter Allgemeinzustand
  • Gerötetes Trommelfell und Ohrenschmerzen
  • Paukenerguss

Begünstigende Faktoren

Bis zum 6. Lebensjahr ist die akute Mittelohrentzündung weit verbreitet. Verschiedene Faktoren begünstigen ihre Entstehung:

  • Mittelohrentzündung in den ersten sechs Lebensmonaten
  • Kontakt zu kleinen Kindern (früher Krippenaufenthalt/ Kindergarten) und dadurch vermehrte Aufnahme von Erregern bis zum dritten Lebensjahr
  • Erhöhe Erkältungsgefahr in der kalten Jahreszeit
  • Vergrößerte Nasen- Rachenmandeln
  • Passivrauchen
  • Schnuller und Flaschennahrung
  • Grunderkrankungen und geschwächtes Immunsystem
  • Allergien und Neurodermitis

Komplikationen der akuten Mittelohrentzündung – selten und unabhängig von Behandlungsart

In der Regel verlaufen akute Mittelohrentzündungen gutartig. Schwerwiegende Verläufe sind selten und unabhängig von der Art der Behandlung. Eine sofortige Antibiotikabehandlung soll sich zunächst nicht auf die Schmerzen auswirken, erst im späteren Verlauf der Erkrankung. Eine mögliche seltene Komplikation ist die Mastoiditis. Hierbei ist der Wurmfortsatz hinter der Ohrmuschel entzündet. Auch eine Meningitis durch Streptococcus pneumoniae kann mit einer oralen Antibiotikabehandlung nicht generell vermieden werden, wie eine Metaanalyse von Rothrock zeigte. Auch eine Studie von van Buchem mit über 4800 Kindern zeigte keinen Meningitisfall bei einer nicht-antibiotischen Therapie.

Bei einer akuten Mittelohrentzündung ist die ärztliche Kontrolle dennoch wichtig. Insbesondere können chronische Verläufe das Hörvermögen beeinträchtigen, welches sich negativ auf die sprachliche Entwicklung auswirken kann.

Wann zum Arzt

Mit Babys und kleinen Kindern sollte in jedem Fall ein Facharzt aufgesucht werden. Der Arzt entscheidet anhand verschiedener Kriterien über die geeignete Therapie. Diese sind beispielsweise das Alter des Kindes, die Symptome, der Verlauf und die Ergebnisse der ärztlichen Untersuchung inklusive der Ohr-Kontrolle mit Hilfe eines Otoskops.

Behandlung der akuten Mittelohrentzündung – keine pauschale Antibiotikagabe

Da die meisten Mittelohrentzündungen in der Regel folgenlos abheilen und in vielen Fällen kein Antibiotikum nötig ist, raten Mediziner bei älteren Kindern ohne Risikofaktoren zunächst dazu, zwei Tage symptomatisch zu behandeln und erst bei Nicht-Besserung oder Verschlechterung, mit einer Antibiotikabehandlung zu beginnen. Im Einzelfall entscheidet der Arzt, wann das Kind wieder vorstellig werden sollte oder ob vorsichtshalber ein Rezept für ein geeignetes Antibiotikum mitgegeben wird. Das hat sich bei kooperativen Eltern insbesondere über das Wochenende bewährt. Unter Berücksichtigung der individuellen Krankengeschichte gilt eine abwartende Haltung mit Bekämpfung der Symptomlast für max. 2Tage als gerechtfertigt.

Bei Kindern mit einem erhöhten Risiko (u.a. Begleiterkrankungen, hohes Fieber, reduzierter Allgemeinzustand, Erbrechen und beidseitigen Schmerzen) wird erfahrungsgemäß eine Antibiotikabehandlung angeordnet. Sichtbarer Eiter führt ebenfalls zu einer Therapieentscheidung in Form eines Antibiotikums.

Amoxicillin ist das Mittel der Wahl. Bei der Herstellung des Trockensaftes kommt es häufig zu Fehlerquellen, daher sollte es bei Abgabe in der Apotheke noch einmal kurz erklärt werden. Auch für erfahrene Eltern ist es eine Ausnahmesituation, wenn das Kind starke Schmerzen hat. Daher sollte der Saft, nach Möglichkeit, zu Hause in Ruhe vorbereitet werden.

Wenn nötig, kann ein Trommelfellschnitt durchgeführt werden oder ein Paukenröhrchen eingelegt werden. Mittelohrentzündungen sollen zukünftig besser zu erkennen sein. Ein neuartiger Ultraschallwandler, der in das Otoskop integriert ist, soll den Entzündungsprozess hinter dem Trommelfell besser darstellen, so dass die Entscheidung für oder gegen eine antibiotische Behandlung sicherer gestellt werden kann.

Abschwellende Nasentropfen sind zur Belüftung wichtig. In Absprache mit dem Kinderarzt auch über die empfohlene Einnahmedauer von 7 Tagen hinaus. Zu Beginn oder unterstützend sind neben geeigneten Inhalationen für Kinder, pflanzliche Präparate sehr beliebt und können vor einer möglichen Verschleppung der Erkältung schützen. Viel Flüssigkeit soll die Schleimhäute feucht halten und auf diese Weise den Abtransport der Krankheitserreger beschleunigen.

Zur unterstützenden Therapie eignen sich beispielsweise Traubenkernkissen, Zwiebelsäckchen und Wadenwickel. Ruhe und Zeit zur Genesung tun dem kleinen Patienten jetzt gut. Das wohl wichtigste ist jedoch Fürsorge und Liebe, damit sich das Kind schnell wieder erholen kann.

Prävention

Probiotika sollen einen präventiven Effekt haben. Demnach erkrankten die Kinder, die Probiotika einnahmen seltener an akuten Mittelohrentzündungen, an Atemwegsinfekten allgemein und benötigten weniger Antibiotika. Ein rauchfreies Umfeld und die Berücksichtigung der Impfempfehlungen wirken ebenfalls präventiv und tragen zur Gesundheit bei. Allgemein schützt ein gestärktes Immunsystem. Für Neugeborene und Säuglinge wird Stillen empfohlen, was ebenfalls vor Mittelohrentzündungen schützt. Gesunde Ernährung, frische Luft und Sport bzw. Spielen und Toben im Freien stärken das Abwehrsystem.

Hinweis: Von Flugreisen wird bei einer akuten Mittelohrentzündung dringend abgeraten! Der nötige Druckausgleich belastet das erkrankte Ohr zu sehr und kann zu Verschlechterung des Krankheitszustandes führen.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin gibt folgende Empfehlung für die Praxis:

Bei Patienten ohne Risikofaktoren mit einer unkomplizierten akuten Otitis media sollte zunächst eine symptomatische Behandlung mit systemischer Analgetikagabe durchgeführt und auf die sofortige antibiotische Therapie verzichtet werden. Bei Kleinkindern ist die Indikationsstellung je nach Alter und Diagnosesicherheit spezifisch zu stellen.

Analgetikagabe: Paracetamol bis max. 60mg/ kgKG/ d (3-4 x 10-15mg/ kgKG/d) oder Ibuprofen bis max. 20-30mg/ kgKG/ d (verteilt auf 3-4 Gaben/ d) Die sofortige Verabreichung von Antibiotika hat keinen Einfluss auf die Schmerzen inner-halb der ersten 24 Stunden. Der Nutzen eines Antibiotikums ist nur bezüglich der Schmerzen ab dem 2.Behandlungstag in geringem Maße nachgewiesen. Selbst bei Fieber und/ oder Erbrechen ist es vertretbar, die ersten 24-48 Stunden unter Beobachtung des Kindes abzuwarten und erst bei einer Verschlechterung der Symptome oder einer ausbleibenden Besserung Antibiotika zu verordnen. Allerdings bedarf es, auch aus forensischen Gründen, einer guten Aufklärung und Absprache mit den Eltern! Ist eine Wiedervorstellung in der Praxis nach 48 Stunden nicht möglich (z.B. Wochenende), empfehlen wir bei guter Mitarbeit der Eltern die vorsorgliche Ausstellung eines Antibiotikum-Rezeptes mit ausführlicher Aufklärung über Anwendungsbeginn, Dosierung und mögliche Nebenwirkungen. Bei weiterhin bestehenden Ohrenschmerzen nach 48 Stunden empfehlen wir folgende An-tibiotikatherapie:1. Wahl: Amoxicillin 50 mg/ kgKG/ d (2-3 Einzeldosen) über 7 Tage* 2. Wahl : Orales Cephalosporin der Gruppe 2.: z.B. Cefuroximaxetil 20-30 mg/ kgKG/ d Bei Vorliegen von Allergien gegen Penicilline/ Cephalosporine Makrolid: z.B. Erythromycin über 7Tage Bei persistierenden Beschwerden nach Beendigung der antibiotischen Therapie ist eine Wiedervorstellung in der Praxis notwendig. Bei Verschlechterung unter antibiotischer Therapie sind ggf. HNO-Kollegen hinzuzuziehen. Bei Patienten mit einem erhöhten Risiko (AOM mit Otorrhoe, jünger als 24 Monate mit beidseitiger AOM, Begleit-/Grunderkrankungen, rezidivierenden Infekten, Paukenröhrchen, Immunsuppression, schlechtem Allgemeinbefinden, hohem Fieber, anhaltendem Erbrechen und/ oder Durchfall) ist eine sofortige antibiotische Therapie einzuleiten. Bei Säuglingen zwischen 6 und 24 Monaten, die nicht schwer krank sind (kein Fieber, kein Erbrechen), kann eine engmaschige Befundkontrolle (innerhalb von 24 Stunden) vor einer antibiotischen Therapie erwogen werden. Die engmaschige Kontrolle kann notfalls auch durch eine kurzfristige telefonische Kontrollbefragung der Eltern erfolgen, wenn die Eltern gut aufgeklärt und kooperativ sind.

 

PTA-Wissen kompakt:

  • Säuglinge und Kleinkinder sollten dem Kinderarzt vorgestellt werden, sobald eine Mittelohrentzündung vermutet wird.
  • Die Symptome sind bei sehr kleinen Kindern in der Regel unspezifisch und gehen mit Unruhe, Reizbarkeit, Appetitlosigkeit und Bauchschmerzen einher. Bei Babys erkennt man häufig einen Ohrzwang.
  • Die Therapie wird individuell gestellt. Von einem pauschalen sofortigen Antibiotikaeinsatz wird zunehmend abgesehen. Im Hinblick auf Resistenzen, Nebenwirkungen und möglichen Schäden des Mikrobioms wird die antibiotische Therapie kritischer gestellt.
  • Je nach Alter des Kindes, Anamnese und Verlauf ist die symptomatische Therapie mit Paracetamol oder Ibuprofen, abschwellenden Nasentropfen und einer ausreichenden Trinkmenge gerechtfertigt.
  • Pflanzliche Präparate haben entzündungshemmende und schleimlösende Eigenschaften, wirken abschwellend und gegen Krankheitserreger.
  • Eine Antibiotikagabe scheint notwendig, bei Nicht-Ansprechen auf schmerzstillende und fiebersenkende Mittel, ausgeprägtem Krankheitsgefühl und hohem Fieber, eitrigem Ausfluss sowie beidseitigem Auftreten der Ohrenschmerzen. Auch bei Besserung der Symptomatik sollte das verordnete Antibiotikum unbedingt nach ärztlicher Empfehlung bis zum letzten Tag verabreicht werden.
  • Im Gespräch mit den Eltern ist besonderes Einfühlungsvermögen gefragt. Viele Eltern befürchten Komplikationen bei einer akuten Mittelohrentzündung und fühlen sich aufgrund der starken Schmerzen ihres Kindes hilflos. Ein kleiner Trost: So schlimm die Schmerzen auch sind, so gehören wohl durchwachte Nächte und Mittelohrentzündungen zum groß werden dazu.
  • Auch erwarten viele Eltern aus Sorge um ihr Kind eine Antibiotikatherapie, insbesondere, wenn das Kind wiederholt unter Ohrenschmerzen leidet und bei einer vorherigen Erkrankung ein Antibiotikum zum Einsatz kam.
  • Bei guter Aufklärung und in Zusammenarbeit mit den Eltern, hat sich die Gabe eines Rezeptes bewährt, das, wenn nötig in Absprache mit dem behandelnden Arzt, eingereicht werden kann.
  • Hier findet Ihr die DEGAM Kurzfassung zum Thema Ohrenschmerzen

 

Quellenangaben und weiterführende Informationen: