Sepsis: Apothekenberatung und Sensibilisierung von Angehörigen
Eine Sepsis – umgangssprachlich „Blutvergiftung“ – ist eine außer Kontrolle geratene systemische Entzündungsreaktion auf eine zumeist bakterielle Infektion. Es kann zu Organdysfunktionen und letztendlich zum Multiorganversagen kommen. Entscheidend ist ein rechtzeitiger Behandlungsbeginn.
Daher ist es wichtig, sowohl medizinisches Fachpersonal als auch die breite Bevölkerung auf Sepsis-Anzeichen wie intermittierendes Fieber, gesteigerte Atemfrequenz und Blutdruckabfall zu sensibilisieren. Hier erfahrt ihr alles Notwendige für die Apothekenberatung zur Sepsis.
Einführung: Sepsis – was ist das?
Wenn der Körper auf eine Infektion mit einer starken Entzündungsreaktion antwortet, kann diese auf nicht-infizierte Organe übergreifen – es kommt zur Sepsis. Krankheitserreger und/oder deren Gifte gelangen ins Blut. Zellfunktionen fallen aus, es folgen Organdysfunktionen.[1] Der Blutdruck fällt ab, gleichzeitig kann die Blutgerinnung verstärkt sein.
Mögliche Folgen sind unter anderem Organversagen, Hypoxie, eine verstärkte Durchlässigkeit der Darmbarriere für Krankheitserreger, Bewusstseinsbeeinträchtigungen und Kreislaufstörungen.[1] Es besteht die Gefahr eines septischen Schocks.
Eine Sepsis ist ein akuter Notfall und bedarf sofortiger ärztlicher Behandlung. Außer in leichten Fällen ist eine intensivmedizinische Betreuung notwendig. Die Sterblichkeitsrate ist hoch. Je nach Schwere der Erkrankung versterben zwischen einer und sechs von zehn betroffenen Personen.[1] Damit ist die Sepsis nach Herzerkrankungen die häufigste Todesursache auf Intensivstationen.[1][2] Mindestens ein Fünftel aller Todesfälle weltweit geht auf Sepsen zurück.[3] Da eine Sepsis auch heute noch nicht immer rechtzeitig oder überhaupt erkannt wird, kann dieser Prozentsatz in der Praxis um einiges höher liegen.
Früher gehörte eine Bakteriämie zu den Sepsis-Kriterien. Inzwischen ist das überholt (siehe Sepsis-3). Dennoch ist der daraus resultierende Begriff „Blutvergiftung“ nach wie vor weit verbreitet.
Oft bleiben nach einer überstandenen Sepsis körperliche, kognitive und/oder psychische Einschränkungen zurück.[4] Bei etwa einem von hundert Sepsis-Patienten sind aufgrund von Gewebeschädigungen Amputationen von einer oder mehreren Gliedmaßen notwendig.[5][6] Die Rehabilitation nach einer Sepsis ist zeitintensiv. Die Dauer hängt vom individuellen Sepsis-Verlauf und der Verweildauer auf der Intensivstation ab.
Multiresistente Keime erhöhen die Gefahr von Sepsen und erschweren deren Behandlung. Aufgabe der Apotheken ist es daher, im Bereich der Antibiotika Aufklärung zu leisten. Viel zu häufig werden Antibiotika bei Virusinfekten oder Reserveantibiotika ohne entsprechende Indikation eingesetzt. Das liegt auch daran, dass viele Patienten beim Arzt explizit um ein Antibiotikum bitten. Oft seid ihr als PTA aber die ersten Ansprechpartner bei Erkältungssymptomen. Daher kommt euch eine wichtige Rolle in der Sepsisprävention zu.
Ein weiteres Problem ist, dass viele Betroffene nicht rechtzeitig zum Arzt gehen und/oder der Arzt die Sepsis nicht früh genug erkennt. Grundsätzlich kann jede Infektion zu einer Sepsis führen. Im Zweifelsfall solltet ihr euren Kunden daher zu einem Arztbesuch raten. Dieses Infoblatt der Kassenärztlichen Bundesvereinigung könnt ihr bei der Patientenaufklärung zu Hilfe nehmen.
Wie man eine Sepsis erkennt: Frühzeichen und Symptome
Typische Sepsis-Symptome sind intermittierendes hohes Fieber, aber auch Untertemperatur, Schüttelfrost, schlechtes Allgemeinbefinden, Bewusstseinstrübungen, gesteigerte Atemfrequenz, niedriger Blutdruck, schlechte Durchblutung, Einblutungen in die Haut, Hautausschlag, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Herzrasen, verminderte oder vollständig aufgehobene Harnproduktion.[1] Auch Organschäden können ein Anzeichen auf Sepsis sein.
Weit verbreitet ist der Glaube, ein von einer Wunde ausgehender roter Streifen in Richtung des Herzens sei ebenfalls ein Sepsis-Anzeichen. Das ist jedoch nicht korrekt. Ein solcher Streifen deutet vielmehr auf eine Lymphangitis hin. Diese ist zeitnah behandlungsbedürftig, aber kein medizinischer Notfall.
Ob ein Verdacht auf Sepsis besteht, entscheidet gemäß der aktuellen Sepsis-Definition der qSOFA-Score, der das Bewusstsein, den Blutdruck und die Atemfrequenz einschließt.[7][8][9] Sind zwei der drei Faktoren beeinträchtigt, besteht das Risiko einer Sepsis.[8][9] Diese Infografik vom RKI veranschaulicht die notwendigen Schritte zur Sepsis-Früherkennung.
Der nächste Schritt sind Laboruntersuchungen: in jedem Fall vom Blut, gegebenenfalls auch von Urin, Liquor, Sputum, (Wund-)Abstrichen und/oder eventuellen Verweilkathetern. Bei einem von drei Fällen bleiben die Untersuchungen ergebnislos.[1] Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Sepsis vorliegen kann.
Risikofaktoren und Ursachen: Wer bekommt eine Sepsis?
Meist wird eine Sepsis entweder im Krankenhaus erworben (nosokomiale Infektion) oder betrifft immungeschwächte Personen. Zu den Sepsis-Ursachen zählen Operationen, Implantate, Verweilkatheter, Infektionen (z.B. Wundinfektionen, Lungenentzündung), Immunschwäche, Immunsuppressiva, Zytostatika sowie bestimmte Vorerkrankungen (z.B. Krebs, Diabetes). Bei Neugeborenen kann es durch Ansteckung mit einer bakteriellen Infektion der Mutter zur Sepsis kommen.
Ein Großteil der Sepsen wird durch bakterielle Infektionen ausgelöst. Doch auch Viren, Pilze und Parasiten können eine „Blutvergiftung“ verursachen. So kann eine Sepsis Corona-bedingt auftreten. Ein Review und eine Meta-Analyse europäischer Forschender ergaben, dass ein Großteil der Covid 19-Patienten auf der Intensivstation die Sepsis-3-Kriterien erfüllt.[10]
Zur Prävention von Sepsis sind die empfohlenen Hygienemaßnahmen essentiell. Auch Schutzimpfungen verhindern schwere Infektionen. Dieser Impfkalender des RKI bietet einen Überblick über die aktuellen Empfehlungen der STIKO. Auch ein stabiler Blutzuckerspiegel senkt das individuelle Sepsis-Risiko.
Sepsis-Behandlung: Was tun bei “Blutvergiftung”?
Außer in leichten Fällen werden Sepsis-Betroffene intensivmedizinisch betreut. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser ist die Prognose. Die Sepsis-Behandlung richtet sich einerseits gegen die auslösende Ursache. Daher beginnt sie in der Regel mit einem Breitspektrum-Antibiotikum. Die Antibiose kann je nach den Befunden der oben genannten Untersuchungen später angepasst werden.
Andererseits wird auch symptomatisch behandelt (beispielsweise Kreislaufstabilisierung, Blutwäsche, Beatmung, Analgesie). Ergänzend werden Heparin und Protonenpumpenhemmer eingesetzt. Falls möglich und notwendig, wird der Entzündungsherd operativ entfernt.[2]
Der Einsatz von Kortikosteroiden bei Sepsis ist umstritten. Einige Forschungsergebnisse legen zumindest einen kurzfristigen positiven Effekt nahe, es gibt jedoch auch Risiken.[11][12]
Hier findet ihr die aktuelle Sepsis-Leitlinie. Auch auf der Website des RKI könnt ihr euch weitergehend informieren.
PTA-Wissen zu Sepsis im Überblick:
- Sepsis ist eine unkontrollierte systemische Entzündungsreaktion auf eine meist bakterielle Infektion.
- Krankheitserreger und/oder deren Gifte gelangen ins Blut. In der Folge treten Zell- und Organdysfunktionen bis hin zum septischen Schock und Multiorganversagen auf.
- Eine „Blutvergiftung“ muss unverzüglich ärztlich – in der Regel auch intensivmedizinisch – behandelt werden.
- Intermittierendes Fieber, schlechtes Allgemeinbefinden, Bewusstseinstrübungen, gesteigerte Atemfrequenz und niedriger Blutdruck gehören zu den möglichen Anzeichen für eine Sepsis.
- Die Therapie erfolgt kausal und symptomatisch. In der Regel beginnt sie mit einem Breitspektrumantibiotikum.
- Die Sepsis-Leitlinie findet ihr hier.
Quellenangabe
[1] Pschyrembel Online | Sepsis
[2] Was ist eine Blutvergiftung (Sepsis)? | Die Techniker (tk.de)
[3] Fleischmann-Struzek C, Schwarzkopf D, Reinhart K. Inzidenz der Sepsis in Deutschland und weltweit : Aktueller Wissensstand und Limitationen der Erhebung in Abrechnungsdaten [Sepsis incidence in Germany and worldwide : Current knowledge and limitations of research using health claims data]. Med Klin Intensivmed Notfmed. 2022 May;117(4):264-268. German. doi: 10.1007/s00063-021-00777-5. Epub 2021 Jan 28. PMID: 33507316; PMCID: PMC7841759.
[4] Fleischmann-Struzek C, Rose N, Freytag A, Spoden M, Prescott HC, Schettler A, Wedekind L, Ditscheid B, Storch J, Born S, Schlattmann P, Günster C, Reinhart K, Hartog CS. Epidemiology and Costs of Postsepsis Morbidity, Nursing Care Dependency, and Mortality in Germany, 2013 to 2017. JAMA Netw Open. 2021 Nov 1;4(11):e2134290. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2021.34290. PMID: 34767025; PMCID: PMC8590172.
[5] USA/Kanada: K. Reitz, J. Kennedy, H.B. Gershengorn, T.D. Girard, M.D. Neal, H.C. Prescott, M.R. Rosengart, V. Talisa, E. Tzeng, H. Wunsch, S. Yende, D.C. Angus, and C.W. Seymour D104. CRITICAL CARE: A FINE BALANCE – SEPSIS DEFINITIONS, OUTCOMES AND EPIDEMIOLOGY. May 1, 2019, A7153-A7153
[6] Südkorea: Oh TK, Song IA. Incidence and associated risk factors for limb amputation among sepsis survivors in South Korea. J Anesth. 2021 Feb;35(1):51-58. doi: 10.1007/s00540-020-02858-9. Epub 2020 Oct 6. PMID: 33025150; PMCID: PMC7538278.
[7] Singer M, Deutschman CS, Seymour CW, et al. The Third International Consensus Definitions for Sepsis and Septic Shock (Sepsis-3). JAMA. 2016;315(8):801–810. doi:10.1001/jama.2016.0287
[8] 9261000 83..95 (thieme-connect.com)
[9] Pschyrembel Online | qSOFA-Score
[10] Karakike E, Giamarellos-Bourboulis EJ, Kyprianou M, Fleischmann-Struzek C, Pletz MW, Netea MG, Reinhart K, Kyriazopoulou E. Coronavirus Disease 2019 as Cause of Viral Sepsis: A Systematic Review and Meta-Analysis. Crit Care Med. 2021 Dec 1;49(12):2042-2057. doi: 10.1097/CCM.0000000000005195. PMID: 34259663; PMCID: PMC8594513.
[11] Annane D, Bellissant E, Bollaert P, Briegel J, Keh D, Kupfer Y, Pirracchio R, Rochwerg B. Corticosteroids for treating sepsis in children and adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2019, Issue 12. Art. No.: CD002243. DOI: 10.1002/14651858.CD002243.pub4
[12] Rochwerg, Bram MD, MSc1,2; Oczkowski, Simon J. MD, MSc, MHSc1; Siemieniuk, Reed A. C. MD2; Agoritsas, Thomas MD, PhD2,3,4; Belley-Cote, Emilie MD1,2; D’Aragon, Frédérick MD, MSc5; Duan, Erick MD, MSc1,2; English, Shane MD, MSc6,7; Gossack-Keenan, Kira BSc1; Alghuroba, Mashari MSc1; Szczeklik, Wojciech MD, PhD1,8; Menon, Kusum MD, MSc9; Alhazzani, Waleed MD, MSc1,2; Sevransky, Jonathan MD10; Vandvik, Per Olav MD, PhD11; Annane, Djillali MD, PhD12; Guyatt, Gordon MD, MSc1,2. Corticosteroids in Sepsis: An Updated Systematic Review and Meta-Analysis. Critical Care Medicine: September 2018 – Volume 46 – Issue 9 – p 1411-1420 doi: 10.1097/CCM.0000000000003262
[13] RKI – Robert Koch Institut (Hrsg.) (2019). Sepsis – Infografik zum Selbstausdrucken auf einer Seite (DIN A3). Online verfügbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/S/Sepsis/Infografik_eineSeite.html. Abgerufen am 21.11.2022.